Rapunzeliges über Romantik

So Leute... DAS ist Romantik! Bekomme um 10 Uhr einen Anruf, eine singende Stimme mit schönem Tenor kündigt sein Kommen zwischen halb elf und halb zwölf an. Überpünktlich trifft mein Date ein, es klingelt im Rapunzelturm. Von oben ruft mein bronchitisches Stimmchen herab: „Ich bin ganz oben!“. Daraufhin hört man von unten begeistertes Schnaufen und ein freudiges:“O.k.!“ – gelobt sei die Akkustik moderner Treppenhäuser. Ich spähe durch den Spalt zwischen den Geländern und sehe zwei wackelnde Köpfe, die einen sperrigen Karton in die Höhe und um unmögliche Ecken herum bugsieren. Die beiden Männer, die zu den Köpfen gehören, wirken energiegeladen und haben einen Affenzahn drauf. Der Große (2 m, athletisch, blond, entwaffnendes Grinsen) taucht als Erster in meinem Blickfeld auf und mir entfleucht ein lautes, deutlich hörbares: „Hab ich ein Glück!“... Was mir angesichts der Traglast des Möbelstücks durchaus angemessen erscheint, da ich es nicht selber schleppen muss. Beseelt von meinen Glückbezeugungen schießt das Duo wie ein D-Zug in den Flur – fernab jeglicher Kenntnisse über die Topographie der rapunzeligen Örtlichkeiten im Turm. Der Große schenkt mir im Galopp ein noch breiteres Grinsen, geht weiter rückwärts... und geht und geht... und plumpst samt Karton auf meinen weißen Polsterhocker, grinst mich dabei weiter an und ihm entfleucht ein: „Wohin?“

Verzückt von dem Gedanken, dass Männer wegen meines Anblicks immer noch gegen Laternenpfähle donnern (beziehungsweise sich wie ferngesteuert auf heimische Hocker niedersetzen als wären sie von Freya persönlich niedergeworfen worden), bitte ich ihn sich doch einfach zu setzen, obwohl er dies schon getan hat Von diesem unfreiwillig eingenommenen Sitzplatz grinst er mich weiter an. Da mir die Worte für solche Situationen fehlen, beschränke ich mich darauf, ihn ebenfalls breit anzugrinsen. Der Hüne rappelt sich hoch, sein etwa ein Meter kleinerer Kumpan hält tapfer das andere Ende des Kartons – mit einem Ausdruck im Gesicht der schwer zu deuten ist. Sowas in der Art: Warum muss immer ich mit diesem großen Trottel zusammenarbeiten? Ich lasse ein beiläufiges: „Ach, irgendwohin!“ fallen. Wie zwei fleißige Ameisen drehen und wenden sie nun den Karton, bis er sich an eine Wand lehnen darf. Die Aufgabenteilung scheint klar: der Kleine verschwindet mit einem ehrfürchtigen und erleichterten „Tschüss“ wieder im Treppengehalle, der Hüne wedelt mit Papieren und Kuli. „Ich brauche noch eine Unterschrift. Hier und hier und hier“, singt er... Ich bekomme so eine Art Chippendale-Schweißausbruch. Ich kringele an alle angezeigten Stellen mein „RAPUNZEL“ darunter und frage nebenher, wann ich die Zeitschrift wieder abbestellen darf? Der Lange grinst mich an und fragt, ob er den Schrank noch irgendwo anders aufbauen soll. Ich so: „Nee, das mach ich selber.“ Er so: „Was macht dein Mann?“ Ich so: „Nix.“ Er blickt tadelnd. Ich so. „Ich meine, da ist kein Mann.“ Er grinst schon wieder breit und fragt: „Soll ich da bleiben?“, und begibt sich vorsichtshalber schon mal auf die Flucht Richtung Tür. Er steht im Türrahmen und blinzelt mich hoffnungsfroh an. Ich so: „Nee, aber wiederkommen!“ Er wedelt mit den Papieren, sucht und sagt: „Ich hab ja Telefonnummer!“.... das Ende der Geschichte verschwimmt gerade in rosafarbenen Nebeln... Rapunzel, Ende.

Über Gefäße

Magie... - Magie bedeutet die Seele unbelebter Dinge erkennen und mit ihnen kommunizieren.

Magie ist überall, auch an den profansten Orten, auch in der Küche. Welcher Zauber steckt in den Dingen? Welche Gespräche kannst du mit Gegenständen führen? Welche wichtigen Fragen über das Leben kann dir eine Kaffeekanne beantworten?

Nun, das hängt davon ab welche Fragen die Kaffeekanne grundsätzlich versteht, und ob ihr beide miteinander reden wollt.

Vielleicht hörst du einfach mal zu, wenn sie spricht. Wie es scheint, gibt es immer Antworten - und neue Fragen.

"Selbst die heißeste Füllung erkaltet irgendwann. Die Oberfläche der Flüssigkeiten ist immer ein Spiegel. Du kannst dich darin selbst sehen - oder das, was dich ausfüllt. Je tiefer du sehen möchtest, umso schwärzer wird es. Nur, wenn du ganz leer bist, kannst du dich selber sehen, oder das Spiegelbild des Spiegelbilds des Spiegelbilds. Dazu solltest du allerdings schon mal den Deckel aufmachen. Ohne Licht keine Erhellung. Die Möglichkeiten für Füllungen sind unendlich, kommt eben darauf an, was das Leben eben so bringt. Du wünschst dir eine andere Füllung? Man kann nicht alles haben. Du bist Spezialist für input und output. Wenn deine Dichtung kaputt ist, verlierst du schon einmal etwas aus deinem Inneren. Wenn man den richtigen Knopf bei dir drückt, rückst du auch mal was raus. Harte Hülle, weicher Kern. Wenn du nicht richtig gespült wirst, bekommst du hässliche Ränder. Jede Füllung, die nicht richtig ausgewaschen wird, hinterlässt in der nächsten einen seltsamen Beigeschmack. Du bist eine Kaffeekanne? Warum nicht mal eine Teekanne werden? Bist du dann noch die selbe? Wer bestimmt eigentlich, was hinein kommt? Ist man da als Thermoskanne ausgeliefert oder selbstgesteuert? Kann man etwas anderes sein als eine Warmhaltekanne? Meine beste Fähigkeit: Standfestigkeit. Mein Problem: das Gewicht - es verändert sich. Manchmal bin ich auch etwas unflexibel. Irgendwie weiß ich dass es noch so viele Möglichkeiten gibt, aber ich kann nicht aus meiner Haut. Das Leben wirft dich hin und her? Versetzt dir einen harten Stoß nach dem anderen? Macht dich mürbe und empfindlich? Deine äußere Hülle ist voller Kratzer? Das Leben macht dich nicht schöner, sondern nur älter? Wenn etwas in dir zerbricht, funktionierst du nicht mehr. Du fühlst dich hohl und nutzlos. Jeder, der tief genug fällt, zerbricht. Du bist ein älteres oder eher unbekanntes Modell? Dann kannst du es vergessen, jemals einen passenden Ersatz für das zu bekommen, was in dir zerbrochen ist. Fortan existiert nur noch deine äußere Hülle. Niemand kann sehen, was wirklich in dir los ist. Du stehst wie immer auf dem Regal oben rechts. Nutzlos, wie es dir scheint. Soll auch schon vorgekommen sein, dass es mehrere deiner Art gab. Du warst nicht der Liebling? Du wurdest als Eisteekanne missbraucht? Mit klappernden Eiswürfeln und Zitronenscheiben befüllt? Nicht dein Ding? Du konntest dich nicht dagegen wehren? Schicksal oder Bestimmung? Du hast am Ende deinen Deckel verloren? Der, der nur für dich gemacht war? Macht das Leben noch einen Sinn, wenn man nicht mehr zusammenarbeiten kann? Wenn man seiner zweiten Hälfte beraubt ist, mit der man so lange funktioniert hat? Kann man als Gießkanne arbeiten? Was geschieht am Ende? Werde ich entsorgt, vergraben oder verbrannt? Asche zu Asche, Staub zu Staub, Polymer zu Kohlenstoff? Oder wird man recycelt? Was wird dann aus mir? Werde ich in anderer Form wiederhergestellt werden? Werde ich dann noch wissen, dass ich eine Kaffeekanne war? Wo komme ich her? Hat man mich erschaffen, verkauft, verschleppt, gebraucht? Bin ich ersetzbar und hatte mein Leben eine Bedeutung? Kann mich irgendjemand verstehen? Die wichtigste Frage zuletzt: wurde ich geliebt? Weil ich ich war oder weil ich das tat, was von mir erwartet wurde?... Möchtest du noch eine Tasse Kaffee?"

Über Blätter im Wind

Gespräche mit Luna

 

Da war sie. Luna.

Klein und rund.

 

"Hallo," sagte sie, "jemand da?"

"Ja. Ich." sagte ich.

 

"Wer bist du?"

"Deine Mama."

"Aha."

 

Neunmalkluges Ding.

 

"Was ist eine Mama?" fragt Luna.

"Oh Kind," sage ich, "du fängst aber früh an Fragen zu stellen, aber nachdem du gefragt hast, muss ich wohl antworten,"

 

Ich lächele Luna an und ringe um die Erklärung.

"Ein Mama ist ... der Garten in dem du wächst. Wenn du reif bist darfst du raus."

"Oh," sagt Luna. "Raus?"

"Ja."

"Was gibt es da draußen?"

 

Verdammt neugieriges Kind.

 

"Da draußen findest du andere Menschen."

"Aha," sagt Luna. "Es gibt noch mehr außer uns beiden?"

"Ja. Viele."

"Auch einen Papa?"

 

Mist. Woher weiß die kleine Kröte das? Ich muss schon wieder lächeln.

 

"Ja, auch einen Papa."

"Den würd ich gern mal sehen." sagt Luna mit unschuldigem Nachdruck in der Stimme.

"Oh." Ich muss schlucken. "Weißt du Kleines, du wirst ihn wahrscheinlich nie sehen."

"Aber ich kann dich doch auch sehen."

 

Na super,  jetzt fängt das Mädchen mit Argumenten an.

 

"Du kannst mich sehen?" Ich bin doch ein wenig erstaunt. "Was siehst du?"

"Na...dich!" antwortet Luna ein wenig entrüstet. Wie können Erwachsene nur immer so unlogische Fragen stellen.

 

Naja, das hätte mir klar sein müssen, dass man vor diesem Kind nichts geheim halten kann. Ich werde ein wenig traurig, weil ich Luna etwas sagen muss.

 

"Luna? Ich muss dir etwas sagen."

"Aha." sagt Luna.

 

Verdammt. Die Kleine ist wie ihr Vater. Und schon wieder muss ich lächeln. Auch wenn sich die Traurigkeit über mich legt wie ein großer grauer Mantel.

 

Luna hört mir zu. Ohne dass ich sie darum bitten muss. Sie möchte es wissen.

 

"Wir sind deine Eltern," beginne ich.

"Ich weiß," bestätigt Luna diese - für sie anscheinend uralte - Information.

"Und wir haben eine Entscheidung getroffen." Ich komme mir vor wie ein Personalchef, der einem langjährigen Mitarbeiter sagen muss, dass er entlassen wird. Oder wie ein Meister der einem angehenden Lehrling sagt, dass er den Ausbildungsplatz nicht erhalten wird.

 

Luna wartet auf weitere Erklärungen. Nun kann ich nicht mehr zurück. Verdammt. Warum muss ich ihr das alleine erklären?

 

"Dein Papa und ich haben beschlossen dass wir dich wieder freilassen."

"Freilassen?" meint Luna. "Bin ich denn ein Gefangener?"

"Ja. Eigentlich schon. Als du herkamst, ist deine Seele eingefangen worden."

"Nein." sagt Luna. "Ich bin freiwillig gekommen."

 

Ich bin erschüttert. Sie ist in die Falle gegangen. Freiwillig. Ob sie wusste was sie erwartet? Hat sie uns vertraut?

 

"Oh," sage ich schwerfällig mit einem Gefühl als ob mir jemand die Kehle zudrückt.

"Du bist freiwillig gekommen? Warum?"

"Oooch," sagt sie mit diesem Ausdruck kindlicher Neugier und mit einer Weisheit, die ich dem Krümel nicht zugetraut hätte, "ich fand es schön hier."

 

"Oh." Mir fehlen die Worte.

 

"Mama?" fragt Luna, "warum weinst du?"

"Es tut mir leid, dass wir dich wieder wegschicken müssen?"

"Ich darf nicht hierbleiben?"

"Nein." sage ich.

"Warum?" fragt Luna erstaunt.

 

"Weißt du kleiner Keks," setze ich an, "ich wäre schon damit einverstanden dich kennen zu lernen. Aber Papa kann das nicht."

"Warum?" fragt Luna weiter. Sie ist wie alle Kinder. Sie möchte lernen.

"Dein Papa hat schreckliche Angst."

"Vor mir?" Luna reißt ungläubig die Augen auf. "Bin ich gefährlich?"

"Nun ja... wenn du es so ausdrücken möchtest... ja... es könnte deinen Papa sehr verletzen."

"Du meinst ich tue ihm weh, wenn ich raus komme?"

"Ja..."

 

"Warum?"

Ich verdrehe die Augen und seufze resigniert. Das könnte noch Jahre so weitergehen. Dass sie Fragen stellt, auf die ich nur traurige Antworten habe. Aber ich denke, sie muss es verstehen. Für manche Dinge gibt es keine guten Antworten und keine befriedigende Lösung.

 

"Hat er mich denn nicht lieb?"

"Doch," sage ich überzeugt,"er hat dich lieb..eigentlich... denn du bist ja ein Teil von ihm. Aber er kann das nicht zeigen."

"Warum?" stellt Luna geduldig ihre klassische Frage.

"Also Kind," nun kehre ich mein Erwachsenen-Ego heraus, "weißt du, ich versuche dir das zu erklären. Und jetzt frag nicht wieder "warum"! tadele ich sie.

 

Luna grinst.

 

"Denke nicht dass dein Papa kein Herz hat, er hat eins und zwar ein großes! Er liebt viele Dinge und Menschen. Sich selber hat er auch lieb. Das alles ist ihm zum Verhängnis geworden. Er hat mal ganz ganz dolle geliebt und vertraut..."

"Ja?" fragt Luna erstaunt.

"Ja," sage ich, "seine Frau. Er hat sie ganz doll lieb gehabt und war glücklich mit ihr, viele Jahre lang. Dann hat sie ihm schrecklich weh getan, ohne es zu wollen."

"Oh," sagt Luna erschrocken. "Das tut mir leid."

 

"Ich weiß," grinse ich. Wir beide wissen viel, denke ich.

 

"Warum hat sie Papa weh getan? Ist sei eine böse Frau oder eine schlimme Hexe?"

"Nein," sage ich. Ich bin verblüfft über Lunas Hang zu Märchenmotiven.

"Sie hat das nicht mit Absicht getan. Manchmal ist das eben so dass sich Gefühle verändern. Sie hatte deinen Papa eines Tages nicht mehr lieb. Sie hat es ihm nicht gesagt."

 

"Wieso?" Luna benutzt mal ein anderes Fragewort, sprachbegabtes Kind, dieser kleine Mondschein.

Ich versuche mein Erstaunen über das Wesen mit den vielen Fragen wieder auf die Konzentration zur Beantwortung einer schwierigen Frage zu lenken.

 

"Also dein Papa hat damals nicht verstanden, warum das alles so ist.. und es hat ihm sehr sehr weh getan. Dann ist was mit seinem Herzen passiert."

"Aha," sagt Luna mal wieder mit diesem Ton der gleichermaßen vollstes Verständnis und völlige Unwissenheit ausdrückt.

"Ja... sein Herz das vorher immer frei geschlagen hat und Licht und Luft und Sonne hatte, das hatte eine schlimme Verletzung...."

 

"Hat es geblutet?" Diese Frage scheint alle Kinder brennend zu interessieren, stelle ich mit hochgezogener Augenbraue fest. Die Ursache von Schmerzen erforschen, und dabei schockiert und zugleich fasziniert hinzustarren.

"Ja...das hat es." Ich lasse mich nicht aus dem Konzept bringen von der Meisterin der Zwischenfragen.

 

"Es hat so sehr geblutet, dass Papa was tun musste um zu überleben...." als ich Luft hole, stellt Luna die nächste Frage.

"Er wäre sonst gestorben?" meint sie ungläubig.

"Nun ja... ich denke schon... wenn man den Kummer nicht bewältigt dann stirbt die Seele." Ich  denke kurz nach und erwarte Lunas "Warum", aber diesmal wartet sie ab.

 

"Er hat den Kummer einfach weggepackt und sein Herz in ein großes, durchsichtiges Glas gesteckt und ´nen Deckel draufgemacht."

"Oh," meint Luna anerkennend, "wie praktisch".

Pragmatisches Kind. Das hat sie von uns, stelle ich mit gewissem Stolz fest.

 

Ich komme nicht dazu weiterzusprechen, weil Luna die Atempause nutzt, um sich die Konsequenzen dieses "praktischen" Schrittes vor Augen zu führen.

 

"Aber wenn man das Herz einsperrt in ein Glas, dann erstickt es doch?"

Woher, verdammt noch mal weiß dieses Kind das alles? Ich fürchte fast, dass es bald keine Erklärungen mehr braucht.

"Ja.. das Herz erstickt... aber es schlägt immer weiter, und weiter und weiter... es lebt, aber es fühlt nicht mehr. Aber ich kann sehen, dass es da ist."

"Ja," sagt Luna verständnisvoll wie eine weise, alte Frau. "Also wenn ich das Glas zerschlage, dann wäre Papas Herz wieder frei?"

"Ja. Aber es gäbe so viele Splitter und es würde wieder bluten. Es braucht ganz viel Zeit bis Papas Herz geheilt ist. Vielleicht heilt es nie wieder."

 

Ich spüre dass Luna beginnt zu verstehen.

 

"Das ist der Grund, warum dein Papa sagt, dass er dich nicht will. Er kann es nicht. Er kann sein Leben nicht für deines geben."

"Oh," meint Luna, "das ist schade..."

 

Sie schweigt. Ich auch.

 

Wir spüren beide die Unausweichlichkeit der Situation. Unsere Herzen schlagen im gleichen Takt.

 

"Mama... kann ich nicht nur bei dir bleiben? Ich meine, wir brauchen Papa doch nicht und haben uns, und dann kann Papa wieder gesund werden."

"Nein, Kleines...," ich merke, wie sich unendliche Traurigkeit und Dunkelheit in meiner Seele ausbreitet.

"Ich kann das nicht alleine... und wenn du später draußen wärst dann würde dir etwas Wichtges fehlen... und das würde dir sehr weh tun und du müsstest dein Herz auch in ein Glas stecken irgendwann..."

"Oh," sagt Luna, "das wäre nicht gut."

"Nein," meine ich,"das wäre schrecklich."

 

"Das Leben tut weh, Mama?" fragt Luna.

"Ja.. das tut es..."

"Ist dein Herz auch in ein Glas gesperrt?" fragt sie schonungslos.

"Ich.. nein.. ich glaube noch nicht... aber ich werde es tun müssen...."

"Weil du sonst auch verblutest?"

"Ja."

 

"Hast du Papa lieb?"

"Mehr als du dir vorstellen kannst, Schätzchen."

"Und deswegen willst du ihm nicht wehtun?"

"Ja... ich will ihm nicht wehtun. Ich will dass sein Herz irgendwann heilt. Wir müssen ihn in Ruhe lassen."

"Ich will Papa auch nicht wehtun," sagt Luna im Brustton der Überzeugung.

 

Verdammt ist dieses Kind vernünftig. Naja, es hat ja auch einen vernünftigen Vater.

 

Ich kann nichts mehr sagen.

 

"Mama," kommt ein zögerliches Stimmen aus meinem Bauch, "weinst du immer noch?"

"Ja," schniefe ich.

"Wird Papa auch weinen?"

 

Scheiße, knallhart die Kleine. Von wem sie das wohl hat?

 

"Ich weiß es nicht," antworte ich resigniert, "Papa will nicht mit mir reden und mich nicht sehen.... aber ich wünsche ihm, dass er weinen kann... denn weißt du, Tränen können heilen und spülen viele Schmerzen fort, und sie sind ein Zeichen dass man sein Herz noch spürt, auch wenn es in dem Glaskäfig sitzt. Mit den Tränen gießt man den Garten der Seele."

 

"Mama.. du musst nicht weinen."

 

Luna hat ihre Entscheidung getroffen.

 

"Ich bin freiwillig gekommen  und ich werde freiwillig wieder gehen."

Ich bin dankbar für Lunas Verständnis und reibe mir die Tränen von den Wangen.

 

"Wird es weh tun?" fragt Luna.

"Nein, kleiner Mondschein... du wirst einfach einschlafen..."

 

"Ich hab euch lieb, dich und Papa."

"Ich weiß, Kleines..."

 

Die Zeit des Abschieds ist gekommen.

 

Luna, ich und ihr Papa umarmen uns ein erstes und letzes Mal - schweigend.

 

Luna schließt die Augen und schläft ein.

 

Es wird ganz still.

 

Auch der Himmel weint und dunkelgraue, schwere Regenwolken schieben sich auf mich zu. Der Sturm treibt ein kleines Blatt in die Luft. Es wirbelt umher, steigt höher und höher. Es scheint von einem hellen Monschein umgeben zu sein. Ich folge ihm mit meinem Blick, bis es nur noch als ein winziges Pünktchen im Wolkengrau zu sehen ist...

 

Nun dauert es nicht mehr lange.

 

© Kerstin Priess 2011

Ein Märchen für Kinder um die 44

Leo und Rana

- ein Märchen für Kinder um die 44

Ich erzähle Euch heute ein Märchen, dass das Leben schrieb. Lauscht und hört die Geschichte von Leo und Rana.

Leo war ein kantiger Typ. Er war schon immer leuchtend Rot gewesen. Er war ein Sechser. Sechs Köpfe oben. Damit gehörte er zu den ganz Großen.

Er war immer irgendwo eingebaut. Mal war er Teil einer römischen Villa mit Balkon, dann wieder flog er als Heck in einem riesigen Hubschrauber mit. Im Laster war er auch schon gewesen und er durfte diesmal ganz vorne mitfahren.

Die Zeiten in der großen, alten Waschmitteltonne, die er in Ruhe zusammen mit den anderen, nicht gebrauchten Steinen verbringen konnte waren rar. Er war einfach ein gesuchter Typ und ständig im Einsatz.

Aber Leo war - obwohl er als wichtiger Baustein in seiner Gemeinschaft galt - eine eigenwillige Natur. Er grenzte sich gerne ab. Leo ging manchmal eigene Wege. Einmal schlidderte er viel zu schnell unter das große Bett. Dort robbte er durch dicke Staubflocken, sah einen riesigen Weberknecht und fand ein paar tote, auf dem Rücken liegende Fliegen. Er genoss diese Zeit im Niemandsland.

Einen Tag später passierte es dann. Ein großer Staubsauger fraß ihn und er wurde mit Karacho angesaugt, durch die enge Düse gezogen und krachte polternd und scheppernd durch den Schlauch um dann in dem mehr oder weniger appetitlichen Durcheinander von Flusenkissen, einer grauen weichen Masse - höchstwahrscheinlich Milbenkot - Katzenhaaren und Papierschnippseln zu landen. Er überstand dieses Abenteuer ohne Kratzer und unbeschadet, denn er war ein harter Knochen. Ein paar Hände schnitten schließlich den Beutel auf, fischten ihn heraus und warfen ihn zurück in die große Tonne.

Ein anderes Mal stürzte er sich in eine dunkle, warme Sofaritze und versteckte sich darin für viel Monate. Er lebte dort als Eremit. Er war aber dennoch froh als er endlich die Enge der rot-grün-goldenen, großgemusterten Polster verlassen konnte. Er piekste die dicke Tante Erika in den Hintern und die fischte ihn heraus, wohl froh dass es nur Leo war und kein sechs- oder achtbeininges Insekt.

Leo war schon viel herumgekommen. Er war sogar jahrelang im Ausland - in Spanien. Aber schließlich kehrte er in sein Heimat zurück um dort weiter zu bauen.

Rana war eine insgesamt runde Persönlichkeit. Sie war von leuchtendem Lindgrün und ihr Plastik war weich und anschmiegsam. Sie hatte regelmäßige Kerben rundherum und ließ sich weich mit den anderen ihrer Art zusammenstecken. In der Mitte hatte sie ein kleines Loch von dem sie sich immer fragte wozu es wohl gut wäre.

Rana fand sich mal zu dünn, dann mal wieder zu dick. Je nachdem welche ihrer Seiten sie gerade im Spiegel betrachtete.

Rana war ein beliebtes Mitglied in der Truppe. Am meisten liebte sie es in der Krone auf dem Kopf des kleinen Mädchens zu sitzen. Dort war sie oben, der dritte Zacken von links.

Sie kam auf diese Weise viel herum. Sie sah das große Wohnzimmer in dem gerade die Nachrichten liefen, den schwarz-weißen, flimmernden Mann der dort mit ernster Miene die Neuigkeiten der Welt verkündete, sie wurde durch die duftende und dampfende Küchenluft getragen, damals als es nach Hawai-Toast roch, sie genoss die Wärme im heißen Badewasser und bekam auch eine Wäsche mit Apfelshampoo.  Einmal fiel sie ins Badewasser und wäre fast vom gurgelnden Ausfluss verschluckt worden. Aber die Hand des kleinen Mädchens fischte gerade noch kurz vorher aus dem reißenden Sog.

Ihr größtes Abenteuer war jedoch der Besuch im Garten. Dort wurde sie von Bienen umschwirrt und konnte sich nicht sattsehen an dem freundlichen Grün und Blau das sie umgab. Hier fühlte sie sich mit allem verbunden. Sie war schließlich auch grün.

Aber Rana hatte auch schon Schlimmes erlebt. Ihre Eltern waren auf einer heißen Herdplatte umgekommen, einfach dahin geschmolzen. Über die näheren Umstände  dieses Unglücks erfuhr Rana nichts, nur dass man sie wohl mit einem Schaber und untrennbar miteinander verbacken von der schwarzen Fläche gekratzt hatte.

Ihre beste Freundin (sie war weiß) wurde entführt, als das kleine Mädchen einmal Besuch von der Kusine hatte. Sie wurde einfach in die Tasche einer karierten Hose gesteckt und Rana sah sie nie wieder.

Als Rana noch sehr jung war hat man ihr übel mitgepielt. Sie wurde damals ohne viel Federlesen in einen Kindermund geschoben, ein Mund der schon alle Milchzähne hatte. Dann wurde sie gebissen. Die Abdrücke sah man noch bis heute. Sie verliehen ihr ein unverwechselbares Aussehen. Aber sie hatte Glück im Unglück. Ihre Steckfähigkeit blieb unbeeinträchtigt.

Eines Tages begegneten sich Leo und Rana. Sie landeten gemeinsam in einem großen, ausrangierten Quelle-Karton und wurden auf den Dachboden geschafft. Als das große Gerüttel und Geschüttel endlich zu Ende war kamen sie nebeneinander zum Liegen.

Leo sah Rana. Rana sah Leo. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Eigentlich auf den zweiten.

Denn Rana hatte Leo schon mal getroffen und mit ihm geplaudert. Sie fand ihn damals schon nett. Aber ihre Welt war damals noch in Ordnung und sie musste niemanden beeindrucken und sagte sich insgeheim - obwohl sie ihn sofort mochte - dass sie sich schließlich nicht schon wieder verlieben wollte. Also sagte Rana stets das, was sie dachte, ohne daran zu denken, was Leo davon hielt.

Leos Welt war damals gerade wieder einigermaßen in Ordnung gewesen. Er hatte sich - nachdem ihn sein langjährig angetrautes Klötzchen wegen eines anderen Bausteins, der auch noch sein Freund gewesen war, verlassen hatte - gerade wieder von dem ersten Schock erholt und genoss sein Leben als Single-Stein.

Sie trafen sich als Rana mit einem Freund und einer Freundin zusammen saßen um den Freund zu trösten. Seine Freundin hatte ihn just in diesem Moment verlassen und Rana und ihre Freundin befanden sich auf der Trost-Mission für ihren verzweifelten Freund.

Leo kam dazu und wurde Mitglied in der Lebensabschnitt-Beratungstruppe.

Leo fand Rana nett und Rana fand Leo nett. Spät in der Nacht musste Rana nach Hause. Am nächsten Tag hatte sie einen wichtigen Steck-Auftrag. Leo sah Rana traurig hinterher als sie sich auf den Weg machte.

Nun sahen sie sich zum zweiten Mal.

Rana war fasziniert von Leos rotem Glanz und seinen Ecken und Kanten.

Leo fand Ranas Lindgrün bezaubernd und ihre schlanken Rundungen mit den regelmäßigen Kerben überaus attraktiv. Die kleinen Bisspuren fand er sehr süß.

So lagen sie eine Weile still nebeneinander.

Nach einer Weile sagte Leo: "Lebst du noch?"

Rana meinte: "Ich glaube schon."

Sie grinsten sich an.

Dann mussten sie lachen.

Leo begann zu erzählen. Vom Bett, vom Staubsauger und der Sofaritze.

Rana erzählte Leo alles über die Erlebnisse im Badewasser, den schrecklichen Schmelzunfall und den Garten.

Leo fand Rana interessant. Rana fand Leo interessant.

Sie lagen nun schon lange nebeneinander auf dem kalten Dachboden. Sie hatten so viel miteinander geplaudert, dass sie die Kälte erst gar nicht spürten. schließlich begann Rana zu frieren und zu zittern, genau wie Leo.

Leo fragte: "Frierst du?"

Rana meinte: "Nein, mir ist nur kalt."

Leo ging los und holte ein Stück Ziegenfell, das - aus welchen Gründen auch immer mit im Karton gelandet war - und legte es über sie beide.

Unter dem Fell wurde es langsam wärmer und Leo spürte Ranas Seite an sich und Ran spürte Leos Seite an sich.

Leo erzählte Rana von seinen Träumen. Rana erzählte Leo von von ihren Träumen.

Leo legte den Arm und Rana.

Rana dachte: "Oh. Aha."

Irgendwann mussten sie sich bewegen. Sie folgten ein paar anderen Bausteinen durch Nacht und Kälte. Die hatten Rana und Leo angeboten in dieser kalten Nacht in ihrer gemütlichen, gepolsterten Stoffkiste zu übernachten.

Ran nahm Leos Hand.

Leo ließ sie nicht los.

So marschierten sie zitternd durch die sternenklare Nacht. Die Sterne leuchteten zum Dachfenster herein. Rana blickte nach oben und fragte sich wo ihr Weg hinführen würde. Leo schwieg.

Sie hatten Glück und mussten nicht den ganzen Weg laufen. Ein großes, altes Spielzeug-Taxi mit abgeschabtem Lack,  dreieinhalb Rädern und noch genug Energie in den Batterien fuhr sie sicher durch das Chaos des Dachbodens.

Als sie endlich im Taxi saßen waren ihre Hände eiskalt.

Rana gab Leo ein Stückchen Katzenfell, das  - aus welchen Gründen auch immer - seinen Weg in Ranas Besitz gefunden hatte. Sie legte es über Leos Hände zum Wärmen. Ihre eigenen Hände steckte sie an eine warme Stelle ihres Körpers.

Nach einer Weile nahm Leo Ranas Hand. Rana hielt sie fest.

Ihre Hände waren wieder warm.

Leo streichelte Ranas Finger. Rana streichelte Leos Finger.

Schließlich lagen sie bequem nebeneinander in der Gästekiste. Leo hatte sich einen grünen und einen geblümten Stofffetzen übergezogen und Rana war bedeckt von einem glänzenden fliederfarbenen Seidenstück.

Leo sagte: "Mach mal den Globus an."

Rana knipste das große Licht aus und das kleine Licht in der alten Plastik-Erdkugel an. Die kleine Gästekiste wurde in magisches blaues Licht getaucht.

Leo war müde und Rana merkte, dass er sich kaum noch wachhalten konnte.

Sie sagte:" Sag Bescheid, wenn ich das Licht ausmachen soll."

Leo meinte: "Wie du willst."

Rana antwortete: "Das war nicht die Antwort die ich hören wollte."

Leo sagte:"Dann mach aus."

Rana kipste das Licht aus und im selben Moment begann Leo laut zu schnarchen.

Rana lächelte.

Sie lag die ganze Nacht wach um Leos Konzert anzuhören. Am liebsten wäre sie zu ihm unter seinen geblümten Stofffetzen gekrabbelt, denn ihr war immer noch kalt und es fühlte sich darüberhinaus an, als ob Leo magnetisch wäre. Sie konnte die Anziehung spüren. Aber sie hatte nicht den Mut. Schließlich sahen sie sich erst zum zweiten Mal.

Was aus den beiden wurde?

Nun ja, wenn sie nicht auf der heißen Herdplatte lagen, leben sie noch heute. Vielleicht begegnet Ihr ihnen einmal auf dem Dachboden und erzählen ihre Geschichte nur für Euch.

© Kerstin Priess 2011

Über Licht und Schatten, Tore und Stürme

11.11.11

Das große Tor? Ja. Dem Sturm nach zu urteilen, hat es sich geöffnet.

Diejenigen, die es durchschreiten werden, sollten sich auf das vorbereiten, was der Sturm mit sich bringt, damit die eigene Seele unbeschadet die andere Seite erreicht.

Schon am 06.11. begann der Wirbel. Zusammen mit tiefer Ruhe, die bis in den letzten Winkel der Seele einkehrte, wurden und werden einem auch andere, gar nicht friedliche Bruchstücke um die Ohren geblasen. Seelen die mit Licht erfüllt sind, ziehen andere Lichtseelen an, die genauso hell strahlen und auf der selben Frequenz schwingen. Sie werden sich jetzt noch leichter finden und berühren. Der eigene Anteil wird in dieser neuen Gemeinschaft stärker.

Aber die hellen Seelen ziehen auch die neidischen Seelen an, die zuwenig Licht besitzen um den Weg zu sehen. Sie heften sich an die hellen Seelen an und versuchen ihnen Energien zu rauben. Aus heiterem Himmel werden dich Menschen kritisieren, versuchen abzuwerten, dich bedrängen, ihrem Glauben zu folgen, dich zwingen wollen, sich ihnen zu unterwerfen, dich angreifen, weil sie dein Licht sehen, und es nicht ertragen können, dass sie es nicht haben. Sie werden wie die Motten von einer einsamen Straßenlaterne angezogen. Zunächst aus der Welt der Lebenden. Auch vergangene Wesen werden sich bei dir melden und dir alles Dunkle, was sie darstellen, präsentieren.

Je mehr du spürst wie gut du wirklich aufgehoben bist im Universum, wie wichtig du als Teil dieses wunderbaren Netzwerkes bist, je heller dein Licht auf dem Weg zur anderen Seite strahlt, umso mehr werden dich die dunklen Schatten angehen.

Der innere Friede bleibt, die Schatten können dir nichts anhaben, egal wie sehr sie heulen und toben. Sie werden zurückgelassen, wenn das Tor sich hinter uns schließt. Kein Schatten kann dir folgen, er erlischt, wenn er ins große Licht tritt.

Blicke nicht zurück und folge dem Licht. Begrüße das, was vor dir liegt. Die Vereinigung mit all den anderen hellen Seelen, die sich schon ewig kennen und nun bald endlich wiederfinden. Du wirst sie erkennen, keiner geht verloren. Dann endlich wirst du zuhause sein - im Licht... und der Sturm ist vorüber. Das Tor hat sich geschlossen.

 

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