Rapunzeliges über Romantik
So Leute... DAS ist Romantik! Bekomme um 10 Uhr einen Anruf, eine singende Stimme mit schönem Tenor kündigt sein Kommen zwischen halb elf und halb zwölf an. Überpünktlich trifft mein Date ein, es klingelt im Rapunzelturm. Von oben ruft mein bronchitisches Stimmchen herab: „Ich bin ganz oben!“. Daraufhin hört man von unten begeistertes Schnaufen und ein freudiges:“O.k.!“ – gelobt sei die Akkustik moderner Treppenhäuser. Ich spähe durch den Spalt zwischen den Geländern und sehe zwei wackelnde Köpfe, die einen sperrigen Karton in die Höhe und um unmögliche Ecken herum bugsieren. Die beiden Männer, die zu den Köpfen gehören, wirken energiegeladen und haben einen Affenzahn drauf. Der Große (2 m, athletisch, blond, entwaffnendes Grinsen) taucht als Erster in meinem Blickfeld auf und mir entfleucht ein lautes, deutlich hörbares: „Hab ich ein Glück!“... Was mir angesichts der Traglast des Möbelstücks durchaus angemessen erscheint, da ich es nicht selber schleppen muss. Beseelt von meinen Glückbezeugungen schießt das Duo wie ein D-Zug in den Flur – fernab jeglicher Kenntnisse über die Topographie der rapunzeligen Örtlichkeiten im Turm. Der Große schenkt mir im Galopp ein noch breiteres Grinsen, geht weiter rückwärts... und geht und geht... und plumpst samt Karton auf meinen weißen Polsterhocker, grinst mich dabei weiter an und ihm entfleucht ein: „Wohin?“
Verzückt von dem Gedanken, dass Männer wegen meines Anblicks immer noch gegen Laternenpfähle donnern (beziehungsweise sich wie ferngesteuert auf heimische Hocker niedersetzen als wären sie von Freya persönlich niedergeworfen worden), bitte ich ihn sich doch einfach zu setzen, obwohl er dies schon getan hat Von diesem unfreiwillig eingenommenen Sitzplatz grinst er mich weiter an. Da mir die Worte für solche Situationen fehlen, beschränke ich mich darauf, ihn ebenfalls breit anzugrinsen. Der Hüne rappelt sich hoch, sein etwa ein Meter kleinerer Kumpan hält tapfer das andere Ende des Kartons – mit einem Ausdruck im Gesicht der schwer zu deuten ist. Sowas in der Art: Warum muss immer ich mit diesem großen Trottel zusammenarbeiten? Ich lasse ein beiläufiges: „Ach, irgendwohin!“ fallen. Wie zwei fleißige Ameisen drehen und wenden sie nun den Karton, bis er sich an eine Wand lehnen darf. Die Aufgabenteilung scheint klar: der Kleine verschwindet mit einem ehrfürchtigen und erleichterten „Tschüss“ wieder im Treppengehalle, der Hüne wedelt mit Papieren und Kuli. „Ich brauche noch eine Unterschrift. Hier und hier und hier“, singt er... Ich bekomme so eine Art Chippendale-Schweißausbruch. Ich kringele an alle angezeigten Stellen mein „RAPUNZEL“ darunter und frage nebenher, wann ich die Zeitschrift wieder abbestellen darf? Der Lange grinst mich an und fragt, ob er den Schrank noch irgendwo anders aufbauen soll. Ich so: „Nee, das mach ich selber.“ Er so: „Was macht dein Mann?“ Ich so: „Nix.“ Er blickt tadelnd. Ich so. „Ich meine, da ist kein Mann.“ Er grinst schon wieder breit und fragt: „Soll ich da bleiben?“, und begibt sich vorsichtshalber schon mal auf die Flucht Richtung Tür. Er steht im Türrahmen und blinzelt mich hoffnungsfroh an. Ich so: „Nee, aber wiederkommen!“ Er wedelt mit den Papieren, sucht und sagt: „Ich hab ja Telefonnummer!“.... das Ende der Geschichte verschwimmt gerade in rosafarbenen Nebeln... Rapunzel, Ende.